Mit begnadet schönen Worten beschreibt der 1956 verstorbene Dichter Gottfried Benn am Anfang seines Gedichts "Hymne" die menschliche (bei ihm männliche) Standhaftigkeit angesichts von harten (Schicksals)Schlägen. Stehenbleiben können wie ein Boxer, wenn der Schlag auftrifft, das ist für ihn die denkbar würdigste, lobenswerteste Eigenschaft in belastenden Lebenssituationen. So ein Mann, der in einsamer Unberührbarkeit nicht zu Fall zu bringen ist, gilt ihm als Ideal.
Ich liebe dieses Gedicht sehr. Und ich bin ein wenig anderer Meinung. Ja, es stimmt, wer im Boxkampf zu Boden geht und liegen bleibt, hat verloren. Aber gleichwohl "steht" keine Boxerin, kein Boxer im Kampf. Ihre Standhaftigkeit zeigt sich gerade in ihrer Wendigkeit, ihrer Flexibilität, ihrer Beweglichkeit und Reaktionsgeschwindigkeit. Eine gute Boxkämpferin tänzelt und pendelt, ist nicht dauerhaft auf einer festen Stelle zu verorten und kann von überall her angreifen oder parieren. Ihre "Standhaftigkeit" besteht also darin, sich flexibel um den eigenen Schwerpunkt zu bewegen, extreme Bewegungen auszubalancieren und insgesamt nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen.
Davon können wir tatsächlich Wichtiges für unser Leben ableiten, denn genau diese Fähigkeit brauchen wir jedes Mal, wenn "Einschläge" auf uns eintreffen und wir ins Trudeln geraten. Dann ist seelische "Standhaftigkeit" gefragt, die wir Resilienz nennen. Kathy L. Kain beschreibt Resilienz als die Fähigkeit, auf Stress so zu reagieren, dass wir aus dem Stresszustand immer wieder in unsere Kraft und Mitte zurückfedern und sogar noch gestärkt und um Erfahrungen, Kompetenzen und Ressourcen reicher daraus hervorgehen. Mich erinnert das an ein Spielzeug aus Kindertagen: das Stehaufmännchen. In fantasievoll-trendiger Einhorngestalt ziert dieses kleine Spielzeug seit einiger Zeit meine Küchenfensterbank und erinnert mich jeden Tag daran: Wir können nicht verhindern, dass Alltagsbegebenheiten oder Schicksalsschläge uns treffen und vielleicht sogar umhauen. Aber wir können die Fähigkeit üben, wieder in unsere Balance und Kraft zurückzukommen. Nicht durch starre Festigkeit, sondern indem wir vertrauen und lernen, wieder aufzustehen und neu den Lebenstanz zu tanzen.
Ihre Annelie Hesse
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