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Die heilsame Kraft der inneren Bilder




Wir können gar nicht anders als in Bildern zu denken, hat Martin Luther vor 500 Jahren einmal gesagt. Diese Worte waren eine Ansage gegen die Bilderstürmer, die alle Bilder aus den Kirchen verbannen wollten. Dagegen hat Luther herausgestellt, dass bildhaftes Denken zu unserer menschlichen Grundausstattung gehört und die gemalten Bilder ein Ausdruck dieser Fähigkeit ist.


Wenn ich das Wort "Rose" schreibe und Sie einen Augenblick dabei verweilen, werden Sie bei dem Wort "Rose" wie von selbst eine Rose vor Ihrem inneren Auge sehen. Manche sehen sie ganz deutlich, andere nur schemenhaft. Und wenn ich Sie frage, wie viele Türen Ihre Wohnung hat, werden Sie, um die Frage zu beantworten, sich Ihre Wohnung vorstellen, durch den Flur gehen und die Türen zählen. Das geht nur, weil wir bildhaft denken.


Die Psychotherapie macht sich diese Fähigkeit zu nutze, die jedem Menschen zu eigen ist. Dort wird sie oft "Imagination" genannt, abgeleitet vom lateinischen imaginatio, was Einbildung oder Traum bedeutet. Beim Stichwort "Traum" sind wir dann auch gleich bei Sigmund Freud, für den der Traum ein Schlüssel zum Unbewussten ist. Und wie träumen wir? Natürlich in Bildern, die oft so lebhaft sind, dass wir meinen, das Erlebte passiere real. Unser ganzer Körper reagiert auf einen intensiven Traum, indem wir zum Beispiel bei einem Albtraum schweißgebadet aufwachen.


Heilsame Imaginationen spielen in der Therapie mit traumatisierten Menschen eine wichtige Rolle. Wenn ein Mensch eine Traumatisierung erlitten hat, kann es geschehen, dass unerwartet Erinnerungsbruchstücke in Form von belastenden Bildern auftauchen. Diese werden durch sogenannte Trigger wachgerufen, also Reize, die im Gehirn mit der traumatischen Erfahrung verkoppelt sind. Das kann ein Geräusch sein oder ein Geruch oder ein anderer Sinnesreiz, und schon startet das Kopfkino den Film. Durch heilsame Gegenbilder, die Betroffene in der haltenden Anwesenheit ihres Therapeuten in aktiver Eigenregie entwickeln, werden die persönlichen Ressourcen wieder gestärkt und eine bessere Regulationsfähigkeit aufgebaut.


Zum Beispiel entwerfen Klienten einen "sicheren Ort", zu dem nur sie Zugang haben und an dem sie optimal geschützt und geborgen sind. Dorthin können sie auch vorgestellte Helferwesen einladen, die ihnen gut tun. Oder sie üben sich in der Kunst des Gartengestaltens, bei der kein grüner Daumen nötig ist, indem sie einen inneren Garten entstehen lassen, in den sie sich immer wieder begeben können.


Auf diese und noch ganz andere Weise werden innere Bilder heute in der Psychotherapie und auch im Coaching genutzt. Denn nicht nur Menschen, die unter einer Traumafolgestörung leiden, können von diesem Kino im Kopf profitieren, bei dem sie selbst zur Regisseurin werden. So könnte zum Beispiel jemand davon profitieren, der vor einer Präsentation aufgeregt ist und zu stark zu schwitzen anfängt. Wenn er das merkt, taucht die Angst auf, dass die Kollegen die Schweißflecken auf dem Hemd sehen könnten, was wiederum die Aufregung und das Schwitzen verstärkt. Im Coaching könnte der Klient nun ein Bild entwickeln, das ihm eine wohlige Abkühlung verschafft, beispielsweise wie er unter einer kühlen Brause steht oder in einem erfrischenden Becken schwimmt. Diese Vorstellung nun wirkt sich physiologisch auf den Körper aus, wenn mit allen Sinnen ausgestaltet wird und aus der Intuition des Klienten entwickelt wurde. Deswegen wirken auch solche Eigenkreationen viel besser als Bilder von der Stange.


An diesem Beispiel wird aber auch deutlich, dass Imaginationen nicht immer und zu jeder Zeit im Prozess der Therapie oder des Coaching passend sind. Denn vielleicht hat der Klient auch in anderen Situationen mit Ängsten zu tun und vielleicht hat diese Angst auch eine Funktion, die es erst einmal zu verstehen und zu würdigen gilt. Um kraftvoll zu wirken, sollten die Imaginationen vorbereitet sein durch gründliche Vorgespräche und eingebettet in ein Konzept der individuellen Therapie oder des Coaching, dass Therapeutin bzw. Coach zusammen mit dem Klienten entwickeln.


Für den ein erstes Kennenlernen jedoch gibt es eine Reihe von Imaginationen oder auch Phantasiereisen in Büchern oder auf Hör-CDs, die sich leicht den eigenen Vorstellungen entsprechen ändern lassen. Vielleicht sind Sie ja nun neugierig geworden und möchten sich auf eine Entdeckungsreise machen. Viel Freude und gute Erfahrungen dabei.


Ihr Mario Hesse-Keil

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